Aberdeen…eine unerwartete Schönheit

Aberdeen…eine unerwartete Schönheit

Aberdeen Beach

Im Vergleich zu einigen mittelalterlichen Orten in Schottland denkt man, die drittgrößte Stadt Aberdeen hat nicht viel zu bieten. Auf vielen Schottland Reisen habe ich sie daher links liegen lassen.

Aber das täuscht! Schon bei meinem ersten Besuch ein paar Jahre später stellte ich fest, dass es hier viel Interessantes zu entdecken gibt. 

Hafeneinfahrt auf der Dee Mündung

Es heißt, hier leben die glücklichsten Menschen des Landes. Das lässt sich der guten wirtschaftlichen Situation zuschreiben, Aberdeen ist schon immer eine boomende Stadt. 

Castlegate mit Mercat Cross

Im 12. Jahrhundert erhalten Old Aberdeen, der Sitz des Bischofs, und New Aberdeen, das Hafen- und Handelszentrum, die Stadtrechte.

Während der Industriellen Revolution, beginnend Mitte des 18. Jahrhunderts, entsteht eine  große Textil- und Papierindustrie. Innerhalb des 19. Jahrhunderts hat sich die Einwohnerzahl fast verfünffacht.

Die Stadt gewinnt an wirtschaftlicher Bedeutung durch den Schiffsbau und die Fischereiindustrie.

In den Werften entstehen schnelle Segelschiffe und später Dampfschiffe, die Hering und Schellfisch in der Nordsee fangen.

 Ein neuer Hafen wird gebaut, der die Stadt 1817 erst einmal in die Zahlungsunfähigkeit treibt.

Es gibt viele Innovationen, wie zum Beispiel 1824 die Straßenbeleuchtung durch Gas, 1830 die Erneuerung der Wasserversorgung durch einen Stausee am Union Place und 1865 wird ein neues Abwassersystem unterirdisch installiert.

Im Jahr 1891 kommt es schließlich zum Zusammenschluss der beiden Städte, Old Aberdeen und New Aberdeen.


1969 beschert das Nordsee-Öl einen weiteren Boom. Aberdeen wird zur „Ölhauptstadt Europas“.

Im Montrose-Field vor der Küste erschließt man das erste Feld, bis Anfang der 2000er sind es über

1969 beschert das Nordsee-Öl einen weiteren Boom. Aberdeen wird zur „Ölhauptstadt Europas“.

Im Montrose-Field vor der Küste erschließt man das erste Feld, bis Anfang der 2000er Jahre sind es über einhundertzwanzig.

Noch einmal verdoppelt sich die Einwohnerzahl, heute leben rund 230 000 Menschen in Aberdeen.


Fährt man in die Stadt ein, fällt zuerst das besondere Stadtbild auf, denn hier baut man fast komplett mit Granit. Das gibt Aberdeen auch den Namen „Silver City“ oder „Silver Darling“. Wenn die Sonne auf die Häuser scheint, beginnt der Glimmeranteil im Granit zu glitzern. Dieser silbergraue Stein wurde aus den ehemals umliegenden Steinbrüchen gebrochen. Viele berühmte Bauwerke auf der ganzen Welt sind mit diesem Stein gebaut.

Der bekannteste Steinbruch ist der Rubislaw Quarry (Rubislaw-Steinbruch). Er ist der Erste, der 1741 in Schottland eröffnet wird, innerhalb der Stadt. Im Jahr 1971 wird er geschlossen. Ein riesiges, von Menschenhand gegrabenes Loch ist entstanden, lange Zeit das größte in Europa. Heute ist es ein See, der sich mit Regenwasser gefüllt hat. 

King´s College

Aberdeen hat zwei Universitäten, die University of Aberdeen und die Robert Gordon University, ungefähr zehn Prozent der Einwohner sind Studenten. 

Die University of Aberdeen entsteht mit dem Kings College in Old Aberdeen, das im Jahr 1494 von Bischof William Elphinstone gegründet wird. Es ist die drittälteste Universität Schottlands, nach St. Andrews und Glasgow. Der Campus ist eingebettet in die gut erhaltene mittelalterliche Stadt mit vielen denkmalgeschützen Granitgebäuden.

Ein Besuch lohnt sich, um die weltweit einzige Granit Kathedrale zu besichtigen, die St. Marchar´s Cathedral.

Sehenswert ist auch die Kapelle des Kings College mit dem Kronenturm, eine architektonische Besonderheit, die im Spätmittelalter in Schottland und England aufkam. Im Innern gibt es ein gut erhaltenes mittelalterliches Chorgestühl aus Holz zu bewundern.

Aushang am Kings´s College

Rings um die ehrwürdigen Gebäude herrscht heute ein reges Studentenleben, im Sommer fläzen die Studierenden auf den Wiesen. Noch 1913 ist das Betreten der Rasenflächen strengsten verboten, wie man auf einem alten Aushang lesen kann.

Stadthaus in Old Aberdeen
Marischal College

Eine zweite protestantische Universität wird  hundert Jahre später, im Jahr 1593, von George Keith , dem 5. Earl Marischal of Scotland, gegründet und nach ihm benannt, das Marischal College. 

Der bedeutende Stadtplaner und Architekt der Stadt Archibald Simpson konzipiert das Bauwerk 1844, wie so viele andere entlang der Union Street.

1860 schließen sich die beiden Colleges, Kings und Marischal, zur Aberdeen University zusammen. Die Kanzlerin ist HRH The Duchess of Rothesay, Kronprinzessin Camilla.

Das Marischal College gilt als das zweitgrößte Granitgebäude der Welt nach dem Escorial Palast in Madrid. Das Gebäude wurde kürzlich komplett saniert und umgebaut. Heute ist in diesem Haus nur noch ein kleiner Teil der Universität untergebracht. Es beherbergt Büros und ein Museum und seit 2011 tagt hier der Stadtrat.

Blick aus dem Hotelfenster

In keiner anderen Großstadt liegen Hafen und Highstreet so nahe zusammen. Hier heißt die Geschäftsstraße Union Street, benannt nach der Vereinigung von Großbritannien und Irland, dem „Act of Union“ 1801. Obwohl Aberdeen dank Ölboom nicht arm ist, herrscht hier eine gewisse Tristesse. Ich habe während meiner Aufenthalte im Rahmen der Reiseleiter Tätigkeit festgestellt, dass immer mehr Geschäfte schließen. Bei schlechtem Wetter unterstützt der Granit diesen traurigen Eindruck.

Release The Pressure

Geht man seitlich der Union Bridge, die eine Bahntrasse überquert, eine Treppe hinunter zu den Union Terrace Gardens, wartet eine Überraschung. Der Park, der aus einem kleinen Flusstal entstanden ist, wird 1879 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Heute stehen hier zweihundert Jahre alte Bäume, es gibt hübsche Blumendekorationen, wie z. B. das Stadtwappen.
Und ein Farbrausch explodiert auf den grauen Steinbögen, die den Park zur Seite abschließen. Im Jahr 2016 wird dieser Bereich durch ein Street-Art Festival aufgepeppt. Die irische Gruppe UV Arts veranstaltet dieses Event unter dem Titel „Release The Pressure“, „Lass den Druck ab“. Dabei entstehen farbenprächtige Graffitis, die den Blick der Bürger auf diese Kunst sicherlich verändern. Es ist auch ein Projekt, um die wachsende Drogenszene dort zu vertreiben.
Nach langem Hin und Her in den vergangenen Jahren und einigen verworfenen Plänen wird der historische Park jetzt neu gestaltet.




Nach der Erkundung der Innenstadt lohnt sich ein Besuch am Aberdeen Beach.

Vom Castlegate, dem ehemaligen Vorplatz des Schlosses, am östlichen Ende der Union Street, läuft man ca. eine halbe Stunde. Es fahren aber auch Busse.

Impressionen am Castlegate
Stadtwappen auf dem Mülleimern

Die Strandpromenade liegt zwischen den beiden Flüssen Dee und Don, die die Stadt einrahmen und die im Süden und im Norden in die Nordsee fließen. Von Norden kommend passiert man den Beach-Ballroom, ein denkmalgeschütztes Art-Deco-Gebäude, das 1926 gebaut wurde. Der Saal ist bekannt als eine der besten Tanzflächen in Schottland durch die besondere Konstruktion des Bodens, der auf festen Stahlfedern liegt. Viele prominente Künstler sind hier aufgetreten, wie The Who, Pink Floyd und sogar die Beatles sollen 1963 hier gespielt haben. Leider ist der Ballsaal heute etwas eingeklemmt zwischen einem großen Spassbad. 

Weiter geht es zur Vergnügungsmeile mit Riesenrad, davor am Meer herrscht im Sommer ein reges Strandleben.



Aberdeen Beach
Fittie

Ganz besonders faszinierend für mich ist die kleine Wohnsiedlung Footdee, von den Einheimischen „Fittie“ genannt. Sie liegt am südlichen Ende der Strandpromenade und grenzt an die Mündung des Flusses Dee, der gleichzeitig als Hafeneinfahrt dient.

Mit etwas Glück kann man hier Delphine sichten, das erzählte man mir. Ich habe leider keine gesehen und muss deshalb wiederkommen!

Im Jahr 1808 werden die kleinen Cottages entworfen und gebaut, um die ortsansässige Fischergemeinde wieder aufleben zu lassen. 

Man spaziert durch zwei Straßenzüge, die in einer bestimmten Struktur angelegt sind. Die Siedlung ist quadratisch, mit kleinen Reihenhäusern, zum Teil haben sie hübsch gestaltete Minigärten. Häuser ohne Fenster zum Meer schützen sich mit „dem Rücken“  vor den Stürmen.

Fittie bei Regen

Alles ist liebevoll dekoriert, einige Künstler haben sich hier niedergelassen. Wird neu gebaut, dann aus Holz und klein und den ursprünglichen Häusern angepasst. Man schlendert wie durch ein Museum für maritime Architektur und es gibt viele schöne und interessante Fotomotive. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass die Menschen hier leben, dass es ihre Privathäuser sind. Jetzt haben die Anwohner schon Zettel an den Laternen aufgehängt, mit der Bitte, die Privatsphäre  zu respektieren.






Last but not least: Aberdeen ist nicht nur Silver City, sondern auch Flower City. Die Stadt war wiederholt Sieger beim Wettbewerb: “Britain in Bloom” und hat fünf fantastische Parks, die untereinander um die schönsten Grünflächen und Blütenpracht konkurrieren.

Fortsetzung folgt

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