Lange haben wir gewartet, der Winter zog sich hin, die Pandemie Massnahmen auch. Aber endlich war es wieder möglich Reisen nach Polen zu planen. Diesmal ging es für ein Wochenende nach Breslau.
Von Berlin aus gibt es das Angebot an bestimmten Wochenenden im Juni/Juli mit dem Kulturzug nach Breslau zu fahren. Der Preis dafür ist sensationell, nur 19 € pro Strecke. Und auf der Reise wird auch noch Kultur geboten!
Die Fahrt dauert 4-5 Stunden. Man reist mit einer kleinen Regionalbahn und manchmal muss man auf den Gegenverkehr warten.
Auf der Hinreise lernten wir den Eisenbahn Dampf Galopp von Hans Christian Lumbye kennen. Er schrieb das Musikstück 1847 für die erste Bahnlinie zwischen Kopenhagen und Roskilde.
Im Zug gab es Bücher über Breslau und Berlin auszuleihen. Beim Durchblättern eines Fotobandes bekamen wir einen ersten Eindruck und Anregungen, was wir besichtigen könnten.
Wir beteiligten uns an einem Quiz und auf der Rückfahrt hatten wir die Live-Performance einer Sängerin.
Breslau ist von Berlin aus ideal für einen Wochenendtrip. In den zwei Tagen vor Ort konnten wir alles Wichtige sehen. Mit einem Hotel nahe am Bahnhof ist man gut beraten. Von hier aus ist alles fußläufig zu erreichen, man hat die meisten Sehenswürdigkeiten direkt vor der Haustür.
Als viertgrößte Stadt Polens hat Breslau circa 650000 Einwohner, tatsächlich sollen es aber bis zu 825 000 sein. Sie ist die Hauptstadt der Woiwodschaft Niederschlesien und das kulturelle, wissenschaftliche und geistige Zentrum dieser Region.
Die Metropole liegt in einer fruchtbaren Tiefebene. Es heißt, sie sei die grünste Stadt in Polen, mit den meisten Parks und Grünflächen. Vier Nebenflüsse der Oder fließen durch das Stadtgebiet und bilden mit den Kanälen, die man zusätzlich gebaut hat, zahlreiche Inseln. Man nennt Breslau auch das „Venedig Polens“, denn zahlreiche Brücken verbinden die Stadtteile miteinander.
Im Jahr 2016 wurde Breslau Kulturhauptstadt Europas und bezeichnete sich selbst als Stadt der Begegnung. Heute ist man hier in einer weltoffenen, sehr jungen Metropole, mit vielen Kultureinrichtungen und einer 1702 gegründeten Universität, als „Universitas Leopoldina“.
Direkt an der Strassenkreuzung vor unserem Hotel stießen wir auf ein außergewöhnliches Kunstwerk: „The Passage“, das Denkmal des anonymen Passanten. Man sieht 14 Personen aus Bronze, lebensgroß, die langsam unter dem Asphalt verschwinden. Auf der anderen Straßenseite tauchen sie wieder auf.
Gestaltet wurde sie von dem polnischen Künstler Jerzy Kalina, geb. 1944. Die Skulptur ist aus dem Jahr 1977, so dass die Menschen Kleidung aus den 70ern tragen. Sie wurde aber erst 2005 an dieser Stelle installiert, ein wirklich ungewöhnliches Denkmal.
Eine der Interpretationen widmet sich dem Gedenken an das Kriegsrecht im kommunistischen Polen. Es erinnert an den Kampf der Menschen, die in den 80er Jahren im Untergrund agierten. Ein Gedenken an die vielen Menschen, die in dieser Zeit verschwanden oder getötet wurden.
Rynek - der Marktplatz
Alle Wege führen zum Rynek, damit starteten wir unseren ersten Tag. Rynek bedeutet „Ring“ und das ist der große mittelalterliche Marktplatz in Breslau. Rings herum stehen farbenfrohe Patrizier Häuser und in der südöstlichen Ecke das Rathaus.
Entstanden ist der Platz Anfang des 13. Jahrhunderts gilt er als einer der schönsten Marktplätze weltweit.
Das wichtigste und zentrale Gebäude ist das prächtige, alte Rathaus, das Wahrzeichen der Stadt. Es wurde im 2. Weltkrieg nur leicht zerstört und somit steht hier eines der schönsten erhaltenen gotischen Gebäude Europas. Im Inneren befindet sich das Museum der bürgerlichen Kunst. In den Kellerräumen gab es eine Bierwirtschaft, der „Schweidnitzer Keller“, in dem man seit 1275 Gäste bewirtete. Das historische Restaurant ist zur Zeit leider geschlossen – wegen Renovierung – es soll aber wieder eröffnet werden.
Die farbenprächtigen Gebäude am großen Ring (Rynek) wurden in den letzten Kriegsmonaten bei der Schlacht um Breslau zu circa 60% zerstört.
Bis ins Jahr 2000 hat es gedauert die historischen Fassaden wieder zu rekonstruieren. Heute macht man dort eine architektonische Reise durch die Stilepochen Gotik, Renaissance und Jugendstil.
Der Rynek wurde für den Autoverkehr geschlossen und ist jetzt eine Fußgängerzone, wo man wunderbar flanieren kann.
Hier war mittlerweile viel Normalität eingekehrt. Von Pandemie war nicht viel zu spüren, es gab nur wenig Abstand und Masken. Überall hatte man Buden aufgebaut mit polnischen Spezialitäten. Man feierte die Johannisnacht, die längste Nacht des Jahres. Ein Markt war aufgebaut, dem Weihnachtsmarkt nachempfunden, der im Dezember ausgefallen war.
Aufgefallen sind uns vor der gotischen Elisabethkirche zwei ganz besondere Häuser, die miteinander durch einen Torbogen verbunden sind. Sie werden umgangssprachlich „Hänsel und Gretel“ (Jaś i Małgosia) genannt. Man assoziiert, dass sie sich die Hand geben.
Die Krasnoludki, die Zwerge von Breslau
Wenn man durch Breslau zu Fuß unterwegs ist, sieht man überall die Krasnoludki, die Zwerge von Breslau.
Heute sind sie eine Touristenattraktion. Entstanden sind sie aber bei einer Protestaktion der politischen künstlerischen Oppositionsbewegung „Orange Alternative“.
Der Stuhl, eine acht Meter hohe Skulptur von dem weltbekannten polnischen Künstler Tadeusz Kantor (1915-1990) wurde schon 1970 für Breslau entworfen, die vierte dieser Art. Man nannte sie „The Impossible Sculpture“ die unmögliche Skulptur. Unmöglich deshalb, weil man annahm, dass so eine teure Arbeit sicher nicht im kommunistischen Polen verwirklicht werden würde. Das Kunstwerk wurde dann 2011 auf dem Europäischen Kunstkongress in Breslau ausgestellt.
Der Stuhl ist etwas Überraschendes, ein Scherz, etwas Absurdes. Auch etwas, was man nicht erwartet und so steht er jetzt nicht an einen besonderen Ort, sondern irgendwo völlig unrepräsentativ an einer Strassenkreuzung. Die Skulptur ist heute eine der Attraktionen in Breslau und viele Menschen kommen, um sie anzuschauen.
Die Dominsel
Von dort geht es weiter entlang der Oder, vorbei an der Universität über zwei Oderbrücken auf die Sandinsel, von dort auf die Dominsel. Es heißt, dass Breslau hier entstanden sei, es ist der älteste Teil der Stadt und das geistige Zentrum.
Die interessantere Brücke ist die Dombrücke (Most Tumski), eine reine Fußgängerbrücke. Sie entstand als hölzerne Brücke bereits im 12. Jahrhundert und grenzte das kirchliche Gebiet von der Stadt ab. Die heutige schmiedeeiserne Brücke wurde Ende des 19. Jahrhunderts gebaut.
Der Dom von Breslau, die Kathedrale St. Johannes der Täufer (polnisch Archikatedra św. Jana Chrzciciela) entstand im 13.-14. Jahrhundert im gotischen Stil. Sie gilt als schönster Kirchenbau der Stadt. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs wurde der Dom zu 70% zerstört und erst 1992 konnte man den Wiederaufbau beenden. Die beiden Türme sind mit über 90 Metern die höchsten in Breslau. Oben gibt es eine Aussichtsplattform, die man besuchen kann. Über eine enge Wendeltreppe gelangt man zum Fahrstuhl und für 10 Złoty fährt man hinauf. Das haben wir uns aufgehoben für den nächsten Besuch.
Wir wollten weiter zu der alten Markthalle „Hala Targowa“, um uns etwas Proviant für die Rückreise zu besorgen. Diese Markthalle, eine von vier ursprünglich geplanten, wurde am 5. Oktober 1908 feierlich eröffnet. Schon damals war sie eine sehr beliebte Einkaufsmöglichkeit für die Einwohner Breslaus. Das ist sie immer noch, aber auch ein Anziehungspunkt für Breslau Touristen.
Hier kann man vor allem Gemüse, Obst, Backwaren und Fleischprodukte kaufen. Auch Blumen kann man hier finden, es gibt ein Restaurant und einen Geldwechsler (Kantor). Insgesamt sind es rund 200 Verkaufsstände.
Achtung: Geld nicht gleich am Bahnhof wechseln, sondern hier in der Stadt. Es gibt eigentlich überall Wechselstuben und einen viel besseren Kurs!
Die Markthalle ist außen mit einer neugotische Ziegelfassade versehen, innen bekam sie eine damals ganz neuartige Stahlbetonkonstruktion. Sie hat den Krieg überlebt, wurde aber danach erst einmal einige Zeit als Pferdestall genutzt. Schließlich hat man die Einkaufshalle in den Jahren 1980 – 1983 aufwendig restauriert und so bekam ihre ursprüngliche Bestimmung zurück.
Eine kleine Gruselgeschichte für die True Crime Liebhaber. Bis heute gibt es das Gerücht, dass hier in der Markthalle Anfang des 20. Jahrhunderts Menschenfleisch verkauft wurde, gekennzeichnet als Schweinefleisch. 1924 hat man ihn dann verhaftet, einen Mann namens Karl Denke. Man fand in seiner Wohnung in Ziebiçe,( Münsterberg) nahe Breslau, einen Fleischwolf mit menschlichen Überresten. Im Gartenschuppen entdeckten die Beamten über 400 Zähne und 480 Knochen, die man cirka 30 Personen zuordnen konnte. Und schließlich auch exakte und akribische Aufzeichnungen zu den Morden wie Datum, Name, Alter und „Schlachtgewicht“.
Der alte jüdische Friedhof
Am Sonntag vormittag machten wir auf den Weg zum alten jüdischen Friedhof im Stadtteil Południe (Südstadt). Das Viertel war einmal eine gutbürgerliche Wohngegend mit Gründerzeithäusern, wurde aber im Krieg fast vollständig zerstört. Heute läuft man vorbei an langweiligen gleichförmigen Plattenbauten.
Über 20.000 jüdische Einwohner hatte die Stadt in den zwanziger Jahren und dort auf dem alten Friedhof sieht man ganz deutlich, dass Breslau eine ehemals deutsche Stadt war. Die Inschriften auf den Mazewot, die Namen sind größtenteils deutsch. Es gibt heute zwei jüdische Friedhöfe in Wroclaw und der ältere ist als Museum der Friedhofskunst Teil des Breslauer Stadtmuseums. Er beherbergt rund 12000 Gräber.
Seit 1203 gib es nachweislich jüdisches Leben in Breslau, eine Mazewa aus diesem Jahr steht in Stadtmuseum. Die Friedhöfe der Juden wurden in den folgenden Jahrhunderten enteignet, geschlossen oder sie mußten umziehen. So wie dieser, der hier erst 1856 entstand und bis zum Ende der 1920er Jahre die bevorzugte Ruhestätte der besser gestellten, erfolgreichen jüdischen Bevölkerung der Stadt war.
Das sieht man hier deutlich an den aufwendig gestalteten Grabstätten. Große Monumente in vielen Stilarten von Gotik bis Barock, herausragende Materialien geben Zeugnis vom Wohlstand der Bestatteten. 1942 wurde der Friedhof geschlossen. Beim Kampf um die Festung Breslau erlitt er massive Schäden, die man heute noch sehen kann. Die Front im Jahr 1945 lief direkt durch dieses Gebiet. Viele der imposanten Grabbauten wurden beschädigt. Auch sieht man Einschusslöcher auf den Mazewot, den jüdischen Grabsteinen. Im Jahr 1975 hat man das Gelände unter Denkmalschutz gestellt und 1978 mit den Restaurierungsarbeiten begonnen.
Einige herausragende Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kunst sind hier begraben und deren Ruhestätten hat man saniert.
Wie zum Beispiel das Grab von Ferdinand Lassalle (1825-1864), ein Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratischen Partei. Ums Leben kam er wegen der Liebe zu einer Frau, ihr Vater zwang ihn zu einem Duell.
Oder die Grabstätte von Ferdinand Julius Cohn (1828-1898). Er war Botaniker und Mikrobiologe und entdeckte im Trinkwasser den Brunnenfaden, ein Bakterium. Neben Robert Koch war er der bedeutendste Forscher in der modernen Bakteriologie.
Last not Least, um nur drei Persönlichkeiten unterschiedlichster Profession zu nennen, Arnold Schottländer (1854-1909), ein deutscher Schachmeister.
Den Nachmittag haben wir genutzt, um in den grünen Parkanlagen der Stadt zu bummeln und uns ein wenig auszuruhen.
Sehr schön ist der Zwinger Garten, ein kleiner Park neben dem Breslauer Komedia-Theater. Unter großen Bäumen und zwischen Hortensien- und Rosenrabatten kann man auf Parkbänken sitzen und den Breslauern bei Ihren Sonntagsbeschäftigungen zuschauen. Weiter ging es entlang des Stadtgrabens (Fosa Miejska), der bereits im 13. Jahrhundert entstanden ist. Man spaziert auf der Altstadtpromenade (Staromiejska Promenade), die als Grüngürtel die Altstadt umschließt, der Ring wird nur im Norden unterbrochen von der Oder. Schon im 19 Jahrhundert war hier die Flaniermeile der Stadt, gesäumt von einigen repräsentativen Gebäuden.
Ein kleines Piwko (Bierchen) noch zum Abschied, das polnische Bier ist nicht so herb wie das deutsche. Aber Achtung: es enthält mehr Alkohol! Die bekanntesten sind Tyskie und Żywiec, die kann ich beide empfehlen. Leicht beschwingt eilten wir zum Bahnhof und fuhren mit unserem Zug zurück nach Berlin. Wir werden wiederkommen!!